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Die Geburtshilfe in der Krise

Geburt ist zu einer hoch technisierten, medizinischen Angelegenheit geworden. Die stetig steigende Kaiserschnittrate und die ewig sinkende Anzahl an Frauen, die ohne medizinische Eingriffe davon kommt, zeugen davon. Gleichzeitig steigt die Mortalitätsrate – entgegen aller medizinischen Fortschritte – oder gerade deshalb?

 

Die Angst lebt im Kreißzimmer.

Und zwar vor allem bei den Geburtshelfern.

Nun möchte man meinen, dass der juristische Druck und auch der betriebswirtschaftliche Aspekt der Profit-Überlegenheit des Kaiserschnitts gegenüber einer vaginalen Geburt (bei einem Kaiserschnitt verdient der Betrieb Krankenhaus das Doppelte im Vergleich zu einer vaginalen Geburt) das Handeln der Ärzte bestimmt.

Und das wird für einen Teil sicher auch zutreffen.

„Bei einer wirklich sehr straffen ökonomischen Führung eines Spitals wird wahrscheinlich das Argument irgendwann einmal wirksam werden, dass möglichst viele Kaiserschnitte eine möglichst billige Geburtshilfe darstellen. Provokant gesagt kann man natürlich schon sagen, je höher die Kaiserschnitt-Frequenz ist, desto kontrollierbarer ist der Geburtsbereich und desto langfristig ökonomisch günstiger wird der Bereich.“

Peter Husslein, Leiter der Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am AKH im Film ‘Meine Narbe’

 

Aber wollen wir ganz fair und ehrlich sein. Es gibt überaus viele engagierte und hoch professionelle Geburtshelfer, die für die Frauen und nicht gegen sie arbeiten.

Es muss also noch etwas anderes hinter der kläglichen Lage unserer Geburtskultur stecken.

Und zwar ist es das stärkste Mittel, das einen manipulieren kann: Angst.

Angst und Trauma.

 

Geburt ist ein natürlicher, physiologischer Vorgang, der weitaus einfacher ist, als das, was wir daraus machen.

Dazu müssen wir nur in die Tierwelt schauen, auch wenn das befremdlich zu sein scheint.

Aber der Teil unseres Gehirns, der während der Geburt hoch aktiv ist, ist auch jener, den wir mit anderen Säugetiermüttern gemeinsam haben – i-phone, google calendar und bugaboo hin oder her.

Wir brauchen Ungestörtheit (privacy), damit unser Körper unter der Geburt entsprechend gut funktionieren kann.

Michel Odent berichtet in seinem Buch ‘Geburt und Stillen’ von einem Versuch mit Ratten bei dem die Auswirkung der Umgebung auf den Geburtsverlauf sowie die Verhaltensänderung innerhalb der Rattengemeinschaft untersucht wurden.

Hier zeigte sich, dass die Rattenmutter, die sich nicht in die Ungestörtheit zurückziehen konnte, einen längeren und schwierigeren Geburtsverlauf hatte als die Rattenmutter in der Vergleichsgruppe. Besonders auffallend ist aber das Verhalten der restlichen Rattengemeinschaft: sie reagiert auf die gebärende Ratte in ihrer Mitte mit Überaktivität. So wird die Rattenmutter in ihrer Geburtstätigkeit ununterbrochen gestört und im Zuge der ‘Versorgung’ der Nachgeburt werden auch einige der neugeborenen Ratten gefressen.

 

Unumstritten ist Geburt auch archaisch, brutal und hemmungslos – wie die Natur selbst.

Und der Tod, Krankheit und Behinderung wird immer wieder vorkommen. Es gehört dazu.

Trotz aller Pränataldiagnostik, 3D-Ultraschall und Dauer-CTG, trotz aller Privatversicherungen, Juristen und Gutachter, trotz aller ätherischen Öle, Schwangerenyoga und HypnoBirthing.

 

Geburt ist ein archaisches Erlebnis in unserem Leben. Wir haben keine Kontrolle über Leben und Tod.

Ein Geburtshelfer sieht in seinem Arbeitsleben viel von dieser Kehrseite und es bleibt bei ihm.

Es wird sein ständiger Begleiter – sowohl im Kreißsaal als auch im Privatleben.

Er ist traumatisiert.

Sehr klar wurde dies auf der jüngsten Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik in der Geburtshilfe und Gynäkologie, bei der es um die selbstbestimmte Geburt ging.

Ein Trauma verändert unsere Gehirnstruktur schon binnen weniger Tage. Die Erlebnisse werden in unserem System ‘installiert’ und bestimmen dann unseren Gefühlszustand, unser Handeln, unser Leben, unser Arbeiten.

Es führt dazu, dass wir die Kraft und das Vertrauen nicht mehr aufbringen können, einer Mutter die nötige Ungestörtheit zu geben, die sie bräuchte, um ihr Kind sicher auf die Welt zu bringen.

Es führt dazu, dass aus physiologischen Geburtsverläufen pathologische werden. Hausgemacht und unnötig, aber vor allem auch ungewollt.

Angst bestimmt hier die Handlungen.

Denn das Bild ist wieder da – das Trauma wieder akut: das tote Baby, die verblutende Mutter, die Verzweiflung, die Vorwürfe, das Gerichtsverfahren.

Das nennt man sekundäre Traumatisierung.

Der Stress steigt. Nachtdienste und zu lange Arbeitszeiten tun ihr Übriges. Posttraumatische Belastungsstörung.

 

 

Angst ist der größte Feind des Geburtszimmers.

Nicht nur bei den gebärenden Frauen.

Sie hat konkrete Auswirkungen auf Performance und Geburtsmodus. Es geht um Risikovermeidung. Ein Kaiserschnitt ist planbar. Ein Kaiserschnitt wird weniger geklagt.

Wie aber die Mütter selbst diesen Kaiserschnitt erleben, zeigt sich deutlich in der Kaiserschnitt-Studie der Stadt Wien gemeinsam mit dem Wiener Krankenanstaltenverbund, in der deutlich hervor geht, dass die Frauen mit dem Geburtsergebnis Kaiserschnitt mehr unter ihrem Geburtserlebnis leiden und dass sich dieses sowohl auf den Stillerfolg, die Mutter-Kind-Bindung, die Partnerbeziehung und auf den emotionalen Zustand der Frau auswirkt.

Die psychischen Auswirkung des Geburtsmodus Kaiserschnitt auf die Mutter werden höchst bewegend im neuen Dokumentarfilm ‘Meine Narbe’ von Mirjam Unger und Judith Raunig dargestellt. Hier kommen bis dato unausgesprochene Dinge ans Tageslicht und die ganze Gefühlswelt, die mit der Kaiserschnitt-Geburt einhergeht, taucht auf. Gefühle des Versagens, der Leere, der Wut, der Traurigkeit.

Ganz normale Gefühle eines Traumas.

Es braucht also psychologische Hilfe auf beiden Seiten.

Es braucht hochprofessionelle Supervision, Intervision, Balinth-Gruppen und Traumatherapie-Angebote für Geburtshelfer.

Hilfe für die Helfer.

 

Man muss viel wissen, um nichts tun zu können.“

Und es braucht schonungslose Kompetenzstärkung in der Geburtshilfe, um vor dem Aussterben bedrohte Techniken wie z.B. die Steißlagengeburt zu retten. Denn die Pathologisierung von Geburt hat auch damit zu tun, dass dem Umfeld Krankenhaus die Erfahrung mit physiologischen Geburtsverläufen ohne Einsatz von medizinischen Interventionen und das Bewusstsein für die psychosozialen Hintergründe fehlt. Hebamme Lisa Rakos nennt dies ‘gekonnte Nicht-Intervention’.

Und dann kann auch die Angst dort bleiben, wo sie hingehört: vor der Tür.

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